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Drei IGM-ler gewinnen vor Bundesgericht - Alternierende Obhut setzt sich durch!

In vier Entscheiden kommt das Bundesgericht im Jahr 2020 zum Schluss, dass die alternierende Obhut gewährt werden muss, wenn keine konkreten Gründe dagegen sprechen. Der Antrag auf alternierende Obhut – auch wenn es nur um eine geringfügige Erweiterung auf 50 % Betreuungsanteil geht – darf nur abgelehnt werden, wenn dies den Kindesinteressen offensichtlich zuwiderläuft.
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Für rund 20'000 minderjährige Kinder in der Schweiz stellt sich je­des Jahr die Frage, wo sie nach der Trennung oder Scheidung ihrer El­tern leben und von wem sie betreut werden sollen. Die Eltern können grundsätzlich frei wählen, wie sie die Betreuung ihrer Kinder nach der Trennung regeln wollen. Im Fa­milien- und Scheidungsrecht gibt es keine rechtlichen Vorgaben und Notwendigkeiten, solange nicht das Wohl des Kindes gefährdet ist. Während des Zusammenlebens ist der gemeinsame Wohnort auch der des Kindes. Die Eltern teilen die Betreuung untereinander oft mit zusätzlicher Drittbetreuung auf und können diese flexibel an die Bedürf­nisse der Kinder und die eigenen Möglichkeiten anpassen. Im Falle einer Trennung könnten die Eltern aussergerichtlich selbst festlegen, bei wem das Kind woh­nen soll und wie sie die Betreuung nach der Trennung aufteilen wol­len, was vom Gericht oder der KESB nur noch bestätigt würde. Dies ge­lingt allerdings nur in geschätzten 30 % der Fälle. Dass sich ein Part­ner einfach an ein Gericht oder die KESB wenden kann, ohne mit dem anderen Partner vorher eine aus­sergerichtliche Lösung aushandeln zu müssen, hat sich für den weni­ger Verdienenden (meist Frauen) bewährt. Angesichts der bisherigen unverständlichen Vermeidung der gleichstellenden alternierenden Ob­hut musste sich, wer Unterhaltsan­sprüche geltend machen zu können glaubte, mit seinem Ex-Partner nicht weiter verständigen, da er (meist sie) so sicher wie das Amen in der Kirche auf Vorteils-Akkumulationen für den Unterhaltsberechtigten zählen konnte. Damit ist die Ehe seit dem Wegfall des Verschuldensprinzips zu einem «ausgesprochen riskan­ten Rechtsgeschäft» (1) geworden: sie gibt heute einer weniger gut verdienenden Person die Möglichkeit, sich selbst durch die jederzeit grundlos mögliche Scheidung als unterhalts­berechtigte Person den ehelichen Lebensstandard sicherzustellen. Der Unterhaltsverpflichtete wird durch eine derartige Gesetzgebung poten­ziell einer lebenslangen Unterhalts­last ausgesetzt.


Obhutszuteilung und rechtlich unbestimmtes Kindeswohl

Der Grossteil der Trennungen und Scheidungen wird somit in ei­nem kontradiktorischen Verfahren vor Gericht entschieden. Seit im Jahr 2015 das gemeinsame Sorgerecht eingeführt wurde, ist die Obhutszu­teilung zur zentralen Entscheidung geworden, weil konkret festgelegt wird, wo das Kind wohnen wird und in welchem Ausmass es von beiden Eltern betreut wird. Daraus wird der Unterhalt berechnet. Gerichte soll­ten beim Entscheid zur Obhutszutei­lung alle für das Kindeswohl wich­tigen Umstände berücksichtigen, wobei allerdings im Gesetz nicht ge­nau definiert ist, was damit gemeint ist. In einem Interview mit der NZZ gibt ein für Familienrecht zuständi­ger Bundesrichter zu, dass konkrete Massstäbe fehlen, anhand derer über die Frage des Kindeswohls entschie­den werden kann (2). Familienrichter sind mit einer de facto unlösbaren Aufgabe konfrontiert, die zu den abenteuerlichsten Begründungen in den Urteilen führt, wenn sie ent­scheiden müssen, was dem Kindes­wohl am besten entspricht und dies begründen müssen, ohne pädago­gisch und psychologisch dafür aus­gebildet zu sein (3).

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Bei der folgenschwersten Ent­scheidung, nämlich der Beurteilung, ob ein Kind besser bei der Mutter oder beim Vater aufgehoben ist, wäre bei normalverteilten Eigenschaften und Möglichkeiten gleichwertiger Eltern eine 50 : 50 %-ige Verteilung auf Mutter und Vater zu erwarten. Die seit Jahren unverändert einseiti­ge Bestimmung der Mutter als besser geeigneter Elternteil in erschrecken­den neun von zehn Fällen wäre auf­grund biologischer und funktionaler Unterschiede lediglich bei Müttern während der Stillzeit, d.h. für Tren­nungen mit maximal einjährigen Kindern, erklärbar. Für alle anderen Trennungen muss hingegen ange­sichts des Gleichstellungsgesetzes, das in der Schweiz seit 1997 verbie­tet, Frauen im Erwerbsleben unter Berufung auf die familiäre Situa­tion zu diskriminieren, von einem schwerwiegenden Verstoss gegen Art. 3 GlG durch Gerichte und ausge­gangen werden. Das Ausmass der ur­sprünglich historisch bedingten Rol­lenverteilung (Kinder brauchen eine Mutter als Bezugsperson), die bis heute die einseitige staatliche Ob­hutszuteilung von Trennungskindern an deren Mütter bestimmt, hat die Dimension von jahrelangen, wettbe­werbsverzerrenden Preisabsprachen oder Kartellen unter den Gerichten, der KESB, den Gutachten-erstellen­den Psychologen und den Familien­beratungen. Mangelnde Vorgaben zur Gleichstellung in der Familie so­wie der grosse Ermessensspielraum von Gerichten und KESB, Entschei­den jeglicher Qualität Rechtskraft zu verleihen und hohe Hürden für deren Änderung anzusetzen sowie Verfah­ren jahrelang in die Länge zu ziehen, zementieren diesen Zustand meist bis zum Abschluss der Ausbildung der betroffenen Kinder.


Alternierende Obhut seit 2017 im ZGB – ohne sichtbare Wirkung
Mit dem revidierten Unterhalts­recht (2017) fand als einziges Betreu­ungsmodell auch die alternierende Obhut Eingang ins ZGB. Diese sei auf Antrag eines Elternteils (= des Vaters) vom Gericht zu prüfen, auch gegen den Willen des anderen (= der Mutter). Seither kamen allerdings Gerichte weiterhin in erstaunlich traditioneller Weise immer wieder zum Schluss, die Kinder müssten hauptsächlich bei der Mutter wohnen und vorwiegend von ihr betreut wer­den. Bei einem Anteil von sage und schreibe 89 % aller Obhutszuteilun­gen (4) zugunsten der Mutter (!) konnte aus den bisherigen Gerichtsentschei­den bisher keine tatsächliche Wir­kung des neuen Gesetzes festgestellt werden. Es blieb bis anhin unklar, in welchen Fällen Gerichte dieses Betreuungsmodell genehmigten. Nach der Ankündigung des Bundes­richters Nicolas von Werdt im NZZ-Interview von 2017, dass Väter auf mehr Zeit mit ihren Kindern hoffen dürften, verstrichen über drei Jahre ohne Änderung der Gerichtsusanz.Ein Vater konnte seit 2017 zwar ei­nen Antrag auf alternierende Obhut stellen, und das Gericht musste die­sen prüfen, doch kamen die Gerich­te weiterhin in selbstverständlicher mütterlicher Voreingenommenheit zu denselben Lösungen wie früher. Wie der Forscher Professor William Fabricius in seinen wissenschaftli­chen Studien zu Scheidungskindern (5) feststellen musste (siehe IGM Nach­richten 3|2020), entscheiden Gerichte und staatliche Behörden Kinderan­gelegenheiten üblicherweise im Sin­ne der Mutter und berücksichtigen nicht die Bedürfnisse und Wünsche der Kinder. Gerichtsentscheide, die üblicherweise als dem «Kindeswohl» entsprechend begründet werden, korrelieren jeweils signifikant mit dem Willen der Mutter (!). Die von Fabricius befragten über 1000 Schei­dungskinder bezeichneten hingegen – im Gegensatz zur gerichtlichen Argumentation – übereinstimmend eine gleichwertige Betreuungs­zeit mit beiden Eltern als die beste Lösung, die sie sich rückwirkend für ihre Kindheit als Scheidungskind ge­wünscht hätten.


Ende 2020 ein unerwarteter Paradigmenwechsel: Die Beweislastumkehr


Vier Bundesgerichtsurteile vom Oktober und November 2020 kommen übereinstimmend zum Schluss, dass getrennt lebende Eltern nach einem entsprechenden Antrag die Kinderbetreuung hälftig aufteilen müssen, wenn keine konkreten Gründe dagegen sprechen (siehe Abb. 1).

Drei Familienrechtsexperten nahmen seither in den Medien zu diesen Leitentscheiden (auf uneinheitliche Weise) Stellung:


  • Martin Widrig, der zur alternierenden Obhut an der Uni Fribourg forscht, freut sich über die sehr deutlichen Entscheide des Bundesgerichts und meint, Anträge für die alternierende Obhut dürften nur bei konkreten Gründen abgelehnt werden, wie z.B. bei einem behinderten Kind mit besonderen Bedürfnissen, das auf spezielle Betreuung oder eine konstant anwesende Betreuungsperson angewiesen ist. Allgemeine, im Konjunktiv gehaltene Gegenargumente reichten hingegen nicht mehr für die Ablehnung eines Antrags auf alternierende Obhut.


  • Professor Roland Fankhauser, Zivilrechts-Experte an der Universität Basel, kritisiert hingegen, dass das Bundesgericht die alternierende Obhut faktisch zum Regelfall erhebe. Das sei vom Gesetzgeber so nicht gewollt. Seine Aussage, dass «damit die alternierende Obhut zum Label verkomme, wie früher das gemeinsame Sorgerecht» kann nicht abschliessend gedeutet werden, da sich der Rechtsprofessor einer unzutreffenden Analogie aus dem Marketing bedient. Dass ein modernes Betreuungsmodell, das die Eltern rechtlich und tatsächlich gleichstellt, nachgewiesenermassen strittige Situationen zu schlichten imstande ist und Kinder mit den besten Entwicklungsmöglichkeiten – ähnlich wie Kinder in intakten Familien – hervorbringt, von einem sogenannten Zivilrechts-Experten nicht als erste Wahl betrachtet wird, ist schlichtweg schockierend und weckt Zweifel an seiner menschlichen und fachlichen Eignung.
    Zur allzu matriarchatsfreundlichen Behauptung von Prof. Frankhauser, die alternierende Obhut sei vom Gesetzgeber nicht als erste Wahl gewollt, sei auf ein Zitat aus der damaligen politischen Diskussion zu diesem Thema verwiesen:


«Die alternierende Obhut ist ja eigentlich eine Selbstverständlichkeit.
Sie entspricht dem Programm der SP, der Grünen
und all jener, die im Sinne der gemeinsamen Vorsorge

für eine fortschrittliche Regelung des Unterhaltssystems sind.»


NATIONALRAT DANIEL VISCHER (GRÜNE) | MÄRZ 2015


Indem sich Professor Fankhauser für die Beibehaltung der bisherigen alttestamentarischen Denkweisen in der Schweiz einsetzt, bekennt er sich öffentlich als Gegner der eigentlich selbstverständlichen, fortschrittlichen Regelung des Unterhaltssystems. Es wird sich weisen, wie lange er für seine Dozentenstelle an der Uni Basel noch tragbar sein wird … Wäre es nicht langsam an der Zeit, dass Politiker und Dozenten, die sich gegen die Interessen der Bevölkerung einsetzen und ihre Studenten auf obsolete, geschlechtsdiskriminierende Weise instruieren, aus dem Ausbildungssystem entfernt werden?


  • Der renommierte Anwalt und Titularprofessor für Familienrecht in Basel, Jonas Schweighauser, greift in den Medien in rufschädigender Weise den Antrag des IGM-Vaters an, der «nur wegen eines zusätzlichen Besuchstags pro Woche ans Bundesgericht gelange» und unterstellt ihm in diffamierender Weise, dass es ihm nicht allein um die Kinder gehe, sondern dass die alternierende Obhut von ihm angestrebt würde, um weniger oder gar keine Alimente mehr zahlen zu müssen.
    Diese Persönlichkeitsverletzung des IGM-Vaters in den Medien wäre eine Zivilklage gegen Herrn Schweighauser wert. Zudem: Als ob Alimente zu zahlen eine allgemeine Bürgerpflicht wie der Militärdienst oder die Steuern wäre! Besteht auch der Herr Titularprofessor auf möglichst nicht erwerbstätige Mütter, die von den Alimenten ihrer Ex-Männer abhängig gehalten werden sollen? Bei Lohn- und Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt und alternierender Obhut ist der Wegfall der Notwendigkeit von Unterhaltszahlungen doch geradezu das Merkmal von gelebter Gleichstellung unter den geschiedenen und getrennten Eltern! Im Weiteren legt Prof. Schweighauser in den Medien Wert darauf, die Schwierigkeiten der alternierenden Obhut hervorzuheben, wie etwa ein längerer Schulweg oder die schwierige Kooperation zwischen den Eltern, die er wohl bisher erfolgreich seinen Mandantinnen empfehlen konnte, um die alternierende Obhut zu verhindern. Beinahe hoffend, dass die kantonalen Gerichte gestützt auf diese Leitentscheide nicht vermehrt die alternierende Obhut genehmigen, meint er beschwichtigend, dass diese bei der Genehmigung der alternierenden Obhut zurückhaltender seien als das Bundesgericht. Kopfschütteln ist angesagt. Offenbar hat Herr Schweighauser nicht begriffen, wie unsere Welt funktioniert.


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Folgen der bisherigen, fehlgeleiteten Gerichtspraxis


In der Bundesverfassung existiert der «Gleichstellungsartikel» 8 in Absatz 3:
Mann und Frau sind gleichberechtigt. Das Gesetz sorgt für ihre rechtliche und tatsächliche Gleichstellung, vor allem in Familie, Ausbildung und Arbeit. Mann und Frau haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit.

Während die Gleichstellung der Frau in allen Bereichen grosse Fortschritte gemacht hat, wurden im Bereich der Familie, wo der Staat (Gericht und Behörden) bei Trennungen und Scheidungen das Sagen hat, bis Ende 2020 keinerlei Schritte in Richtung Gleichstellung unternommen. Der Mann wurde vom Staat weiterhin als Ernährer betrachtet, und die Frau wurde weiterhin an den Herd geschickt und mit der Kinderbetreuung betraut. Die Grafik (Abb. 2) beschreibt diesen Sachverhalt.

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In fast 9 von 10 Fällen (89%), die jährlich ca. 17'800 minderjährige Kinder betreffen, bleibt das Scheidungskind hauptsächlich bei der geschiedenen Mutter wohnen. Mit dem Vater verbringen diese Kinder nur noch 5.9 Tage pro Monat, d.h. jedes zweite Wochenende. Damit fällt die Mutter in die alte Hausfrauen-Rolle, wo sie allei­ne während der ganzen Woche für Kinderbetreuung zuständig ist und den Haushalt kinderfreundlich füh­ren muss. Erst ab Einschulung des jüngsten Kindes sei gemäss Bundes­gerichtsentscheid 5A_384_2018 dem hauptbetreuenden Elternteil eine 50 % Erwerbstätigkeit, ab Eintritt in die Sekundarstufe 80 % und ab 16 ein Vollzeiterwerb zuzumuten. Somit verlieren jährlich ca. 17'800 minderjährige Kinder den Vater als Bezugsperson in ihrem Alltagsleben. Mit dem Grossteil seines Einkom­mens muss er seine Ex-Frau, für wel­che bis zur Einschulung des jüngsten Kindes Erwerbstätigkeit «unzumut­bar» sei, und die Kinder finanzieren. Mag diese Lösung während der Stillzeit noch sinnvoll und gerecht­fertigt sein, trägt sie dem natürlichen Entwicklungsprozess eines Kindes je länger, desto weniger Rechnung. Da aber Scheidungsurteile die Situ­ation meist bis zum Abschluss der Erstausbildung regeln, gehen sowohl Gerichte wie auch die auf diese An­sprüche eingestellte Mutter davon aus, dass die frühkindlichen Obhuts­regelungen unverändert durchgezo­gen werden.


Dramatische persönliche, so­ziale und wirtschaftliche Folgen diskriminierender Aufgabenzu­teilungen

Durch hohe Hürden für gerichtliche Änderungen dieser Urteile zementieren Gerichte und KESB die erwähnte, altmodische und diskriminierende Aufgabenzu­teilung nach Geschlecht über Jahre.


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Abb. 3 zeigt weiter oben die Folgen der typischen Aufgabenzuteilung, denen die 89 %-ige Obhutszuteilung an die Mutter zugrunde liegt. Nicht immer, aber doch in nicht zu ver­nachlässigender Häufigkeit, führt dies bei beiden Eltern langfristig zu dramatischen persönlichen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen, die sich niemand wünscht. Indem die Gerichte Vätern, die zur vermehrten Kinderbetreuung ihr Arbeitspensum reduzieren wollen, böswillige Einkommensminderun­gen unterstellen und die Unterhalts­verpflichteten ungeachtet anderer Lösungsvorschläge weiterhin dazu zwingen, den Unterhaltsansprüchen ihrer Ex-Frauen nachzukommen, greifen sie auf fragwürdige Weise in die Autonomie der Betroffenen ein. Auf menschlicher Ebene führt diese diskriminierende Aufgabenteilung bei den Kindern zu einer sinken­den Bereitschaft, den Kontakt zum kaum noch verfügbaren Elternteil aufrechtzuerhalten, was in 10 % der Scheidungen zur totalen Kindsent­fremdung führt. Und die Aussichten auf wirtschaftliche Selbständigkeit der Mutter nehmen mit zunehmen­dem Alter ab, so dass ihre Abhängig­keit vom Unterhalt des Ex-Mannes jahrelang andauert und sie in ein erbärmliches Dasein hinein gezwun­gen wird.


Die Scheidungsanwältin Chris­tine Pappert, Fachanwältin SAV für Familienrecht, weist auf das schweizerische Unikum der jahr­zehntelangen Unterhaltszahlungen hin und betont, wie fassungslos ihre skandinavischen oder deutschen Kollegen sind, dass bei uns Männer teilweise jahrzehntelang für ihre Ex-Frauen zahlen müssen (7). Es werde ihrer Meinung nach unterschätzt, wie lange die Verpflichtungen einer Scheidung die Geschiedenen (praktisch nur Männer) weiterhin an die alte Beziehung binden und in ihren Möglichkeiten einschränken. Man sei nicht mehr frei, obschon man sein Leben neu gestalten sollte. Weiter weist sie darauf hin, dass sie es in ihrer langjährigen Anwaltstätigkeit nur zweimal erlebt hat, dass eine Frau für den Mann Unterhalt zah­len musste. Unterhaltszahlungen sind gemäss Gleichstellungsgesetz eine indirekte Diskriminierung, da sie einseitig praktisch nur Männer betreffen, ohne dass dies im Gesetz wörtlich gesagt wird. Dass 98 % der Unterhaltsverpflichteten Männer (8) sind, entspricht nicht der Erwerbssituation in der realen Welt, und es zeigt somit, wie realitätsfremd Scheidungen gerichtlich vollzogen werden.


Die entspannenden Wirkungen der alternierenden Obhut

  • Indirekte Diskriminierungen durch Aufgabenzuteilungen und Unterhaltszahlungen werden durch die alternierende Obhut minimiert oder fallen weg.
  • Alternierende Obhut mit paritäti­scher Elternverantwortung 50 : 50 fördert mit jeder Trennung und Scheidung die Gleichstellung im Erwerbs- und Familienleben (9), wie aus Abb. 4, die das Gleich­stellungsziel darstellt, wie es in unserer Verfassung vorgesehen ist.
  • Dank Lohngleichheit haben Mut­ter und Vater gleiche Chancen auf dem Arbeitsmarkt.



Alternierende Obhut dient nachgewiesenermassen dem langfristigen Kindeswohl

Der Staat kommt so seiner Aufga­be nach zu fördern, dass Kinder von beiden Eltern erzogen werden. Jedes Kind hat nach Art. 7 und 18 UN KRK (Kinderrechtskon­vention der UNO) das Recht, bei beiden Eltern zu leben und bei ei­ner Trennung regelmässigen Kon­takt mit beiden Eltern zu haben. Art. 18 berechtigt Kinder, von bei­den Eltern erzogen und gefördert zu werden (10). Trennungen und Scheidungen dürfen nicht mehr dazu führen, dass ein Elternteil in diskriminie­render Weise dem anderen vorge­zogen wird. Eine Akten-basierte Aussage, wo das Kind besser auf­gehoben ist, ist wie eine Ferndia­gnose eines Arztes.


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Elternzeit ermöglicht von An­fang an eine ausgewogene Be­treuungsaufteilung. Paritätische Elternschaft mini­miert Auswirkungen elterlicher Trennungen auf die Kinder.

In über 60 wissenschaftlichen Studien erwies sich die alterna­tive Obhut nach einer Trennung der Eltern als die bestmögliche Lösung zum Wohl der Kinder.

Alternierende Obhut fördert die Vereinbarkeit von Beruf und Fa­milie für Mütter und Väter.

Frauen haben im Allgemeinen eine niedri­gere berufliche Stellung als Männer. Sie sind öfter Arbeitnehmende ohne leitende Funktion. Männer sind deutlich häufiger als Frauen Selb­ständigerwerbende und Arbeitneh­mende in Unternehmensleitungen oder mit leitender Funktion. Diese Ungleichheit bleibt auch bei glei­chem Bildungsstand von Frauen und Männern bestehen. Wichtige Gründe dürften die wegen der Verantwor­tung für Haushalt und Kinderbetreu­ung eingeschränkte Flexibilität und oft geringere Berufserfahrung der Frauen sein. Seit 2011 hat sich die­se Verteilung nicht wesentlich ver­ändert. Aussagen über die zeitliche Entwicklung vor 2011 sind aufgrund der Änderungen in der Erhebungs­methode nicht möglich (vgl. Legende in der Abb. 5). Der Anteil von Frauen an den Arbeitnehmenden in Füh­rungspositionen nimmt seit 1996 leicht zu und macht nun etwas mehr als einen Drittel aus. Die alternie­rende Obhut als erste Wahl bei Tren­nungen und Scheidungen übt in Zu­kunft für die Gleichstellung der Frau im Erwerbsleben einen zusätzlichen positiven Einfluss aus.


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In alternierender Obhut sind Mütter und Väter gleichermassen für Haushalt und Kinderbetreuung verantwortlich. Es ist klarzustellen, dass die Aufgabenverteilung wäh­rend des Zusammenlebens oft nicht dem entspricht, was der Mann will (manchmal auch nicht dem, was der Frau passt). Spätestens die staatlichen Insti­tutionen sollten aber die Rahmen­bedingungen für weniger Frauen in Führungspositionen mit ihren Scheidungs- und Trennungsurteilen nicht noch auf Jahre zementieren, sondern sie haben die Gelegenheit, die Gleichstellung der Frauen im Führungspositionen zu fördern und den Vätern in gleichem Ausmass wie den Müttern die Verantwortung für Haushalt und Kinderbetreuung mit eingeschränkter Flexibilität und ei­ner Einbusse an Berufserfahrung «anzuhängen».


Damit leisten die neuen Bundesgerichtsentscheide, welche die alternierende Obhut zur Lösung der ersten Wahl machen, durch die von ihnen implizierte, pa­ritätische Elternverantwortung ei­nen grossen Beitrag zur Förderung der Gleichstellung in allen Lebens­bereichen. Den grössten Nutzen haben die Kinder davon, wenn sie gemäss UN-KRK vom Staat bei trennungsbe­dingten Reorganisationen der Be­treuung darin unterstützt werden, zu beiden Eltern eine gleichwertige Beziehung aufbauen zu können.


Die Sondererlaubnis, bei Schei­dungen auf den Gleichstellungs­grundsatz im Erwerbsleben zu ver­zichten, ist nicht länger tragbar. Es kann nicht sein, dass Scheidungs­gerichte für Frauen eine gesetzlich nicht vorgesehene Ausnahmerege­lung aufrechterhalten. Wie sollen Frauen jemals die Gleichstellung im Erwerbsleben erreichen, wenn sie auf Kosten ihres Ex-Mannes auf Erwerbsarbeit verzichten dür­fen? – Gut, hat das Bundesge­richt nun einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung getan.


DR. GIANNI ALAMPI | IGM KOMMUNIKATION
THOMAS JAKAITIS | PRÄSIDENT IGM SCHWEIZ



  1. Haefeli; Nachehelicher Unterhalt als Auslauf­modell, SJZ 112 (2016) Nr. 18
  2. Familienrecht «Das ist keine Diskriminie­rung», Interview von Katharina Fontana: Ein Gespräch mit Bundesrichter Nicolas von Wer­dt, dem Präsidenten der zuständigen Abtei­lung, NZZ Schweiz, 23. 12. 2015
  3. Dettenborn & Walter, Familienrechtspsycho­logie; Auflage, 2016; Kap. 2.5; Das Wohl des Kindes; siehe auch https://hochstrittig. org/wp- content/uploads/2020/08/Witt-War­um-wir-das-Kindeswohlprinzip-abschaffen-sollten.pdf
  4. AUF KOSTEN DER KINDER; Jede zehnte Scheidung eskaliert – mit fatalen Folgen; BE­OBACHTER.CH, 4. 12. 2020, Nr. 25, S. 19.
  5. Fabricius, W. V. (in press); Equal paren­ting time: The case for a legal presumption. In J. G. Dwyer (Ed.); Oxford Handbook of Children and the Law.
  6. Mit zusätzlichen Massnahmen soll für Perso­nen, die ihre Unterhaltspflicht nicht erfüllen, der Bezug von Kapital aus ihrer beruflichen Vorsorge verunmöglicht werden, um nicht Geld unbemerkt beiseiteschaffen zu können. Die Fachstellen der Inkassohilfe können den Vorsorge- und Freizügigkeitseinrichtungen Personen melden, die ihre Unterhaltspflicht vernachlässigen. Dafür müssen künftig die vom EDI verfassten Formulare für die Mel­dungen benutzen, die im Laufe des Jahres 2021 auf der Webseite des BSV sowie auf der Homepage des Bundesamtes für Justiz auf­geschaltet sind. Die Vorsorge- oder Freizü­gigkeitseinrichtung informiert, die Fachstelle umgehend über fällige Kapitalauszahlungen, und die Inkassobehörde kann rechtzeitig Un­terhaltsforderungen sichern.
  7. Ich ziehe für sie ins Gefecht. Kaum jemand sieht so viel zerbrochenes Glück, wie die Scheidungsanwältin Christine Pappert; auf­gezeichnet von Bettina Weber, Sonntags Zei­tung, 21. 2. 2016, Seite 50.
  8. Gemäss der Schweizerischen Sozialhilfesta­tistik 2015 sind 98.6 % der Gesuchstellenden für Alimentenbevorschussung Frauen. Ab­rufbar unter: www.bfs.admin.ch > Statistiken finden > Soziale Sicherheit > Sozialhilfe > Empfänger/innen Sozialhilfe im weiteren Sinn > vorgelagerte Sozialleistungen.
  9. Gleichstellung im Erwerbsleben gilt gemäss Gleichstellungsgesetz bereits seit 1996 – auch bei Trennung und Scheidung. Zum Familienleben sind im GlG Vorgaben zur Gleichstellung von Frau und Mann überfällig, um Art. 8 BV die rechtliche und tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter in allen Le­bensbereichen durchzusetzen.
  10. Nach Art. 9 und 18 der UNO Kinderrechtskon­vention hat jedes Kind das Recht, bei beiden Eltern zu leben von beiden erzogen und ge­fördert zu werden. Der Staat sollte die Eltern bei dieser Aufgabe unterstützen.

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